Weil die Inflation zumindest vorübergehend weiter zulegt, dürften die US-Langfristrenditen zunächst steigen. Europa stemmt sich gegen ein Übergreifen. Am schwersten haben es die Emerging Markets, die ihre Geldpolitik vielleicht prozyklisch straffen müssen, schreibt Chris Iggo, AXA IM CIO Core Investments, in der aktuellen Marktstrategie.
„Zum anhaltenden Anstieg der US-Langfristrenditen sagt die Fed … nichts. Sicher, sie stellt noch immer eine ausgesprochen expansive Geldpolitik in Aussicht, und wenn man dem Median der Dotplots Glauben schenkt, wollen die Offenmarktausschussmitglieder mit Zinsschritten noch bis 2024 warten. Jerome Powell hat auch klar gesagt, dass er den Markt vor einer Verringerung der Anleihekäufe rechtzeitig warnen wolle. Doch paradoxerweise lässt all das die Renditen weiter steigen. Der Grund ist die neue Inflationspolitik, will die Fed doch in Zukunft ein gewisses Überschießen akzeptieren.
Diese milde Haltung lässt die langfristigen Inflationserwartungen steigen. Damit die Renditen nicht noch weiter zulegen, bräuchte der Markt schon eine andere Notenbankrhetorik – vielleicht mit Hinweisen auf eine neue Operation Twist, und Änderungen bei den Anleihekäufen, um die Langfristrenditen stärker zu steuern. Aber nichts deutet bislang darauf hin.“
„Neben den Erwartungen zur Geldpolitik lösen aber auch die Wirtschaftsdaten Inflationssorgen aus. Die Preiskomponente des ISM-Index für den Dienstleistungssektor war im Februar so hoch wie seit 2009 nicht mehr. In solchen Fällen ist die Kernrate meist innerhalb von drei bis sechs Monaten gestiegen. Hinzu kommt, dass Biden ein fast 1,9 Billionen US-Dollar schweres Konjunkturpaket durch den Kongress gebracht hat. Weil die Hilfen aufgrund der schnellen Impfungen wohl mit dem Neustart der Wirtschaft zusammenfallen, wird eine Überhitzung wahrscheinlicher.
Dabei ist der Ansatz der Fed fundamental gut begründet, zumal Bidens Konjunkturpaket wohl nur ein Strohfeuer sein wird. Wir wissen nicht, ob sein politisches Kapital reicht, um danach auch das mittelfristige Investitionsprogramm durch den Kongress zu bringen. Die höheren Langfristrenditen machen es jedenfalls schwerer, kann man doch jetzt nicht mehr so leicht argumentieren, dass es sich selbst finanziert. Zum Jahresende dürfte sich die US-Wirtschaft dann wieder etwas beruhigen.
Weil Biden es nicht geschafft hat, seine Mindestlohnpläne auf die Tagesordnung zu setzen, hält sich auch das Risiko einer Kostendruckinflation in Grenzen. Und doch werden die Inflationserwartungen zumindest vorübergehend steigen – wenn die Inflation zulegt, schreiben die Marktteilnehmer das oft fort. Die Zehnjahresrenditen dürften daher sukzessive auf 2% steigen, um dann wieder etwas zurückzugehen.“
„Die US-Wirtschaft wird die anhaltende Straffung der Finanzbedingungen wohl verkraften, aber ein Übergreifen auf Europa käme zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Im Euroraum werden die Kontaktbeschränkungen nicht lockerer, sondern strenger, da sich das Virus wieder schneller ausbreitet und die Impfungen weiterhin stocken. Zwar ist die europäische Fiskalpolitik expansiv, doch setzt sie eher auf die mittelfristigen Effekte eines gemeinsamen EU-Budgets als auf spektakuläre Kurzfristpakete. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zugesagt, sich einem Übergreifen der steigenden Zinsen entgegenzustellen.
Sie würde dann im Rahmen des Pandemie-Notfallkaufprogramms (PEPP) Anleihen übernehmen, doch scheint es interne Meinungsverschiedenheiten zu geben. Wahrscheinlich wird man erst auf der nächsten Ratssitzung eine Entscheidung treffen, idealerweise, nachdem neue Konjunkturdaten vorliegen. Aber die gibt es nur einmal im Quartal. Die EZB wird daher eher reagieren als vorausschauend handeln, wie schon in ähnlichen Phasen zuvor. Dennoch glauben wir, dass sich der Zinsabstand zwischen US-Staatsanleihen und deutschen Bundesanleihen insgesamt nur wenig ändert und die deutsche Zehnjahresrendite zum Jahresende noch immer negativ sein wird.
Schwieriger ist die Lage der Emerging Markets, aus denen bereits Mittel abgezogen werden. Alles in allem stehen sie jetzt zwar besser da als so oft, wenn die Industrieländerrenditen stiegen. Die schwächeren Länder stehen aber zweifellos unter Druck. Manche Notenbanken sind zu Zinserhöhungen gezwungen, zuletzt die Türkei, Russland und Brasilien, was die Erholung bremste. Vor allem die Türkei muss man im Blick haben. Offensichtlich ist die Politik hier nicht mehr bereit, den Preis einer strafferen Geldpolitik hinzunehmen – das Rezept für Finanzturbulenzen.“